Fall Thorsten:
Thorsten ist Kleinunternehmer. Seit seiner Ausbildung verdient er sein Geld mit dem Herstellen und Gestalten von Grabsteinen. Sein Kleinunternehmen hat er bereits von seinem Vater schuldenfrei übernommen, der es schon Jahrzehnte vorher erfolgreich betrieben hatte. Es handelt sich also um einen soliden, gut eingesessenen Betrieb, bei dem man sich kaum vorstellen kann, dass hier noch viel Schlimmes passieren könnte.
Bis trotzdem plötzlich das Unvorstellbare geschah. Ohne jeden erkennbaren Anlass, quasi wie ein Blitz aus heiterem Himmel, blierben von einem Tag zum andern die Kunden mit ihren Aufträgen weg. Der bislang gesunde Geldstrom wurde nur noch ein Rinnsal. Als Thorsten den Weg in meine Praxis fand, hatte er bereits Jahre in diesem Zustand hinter sich. Seine Reserven und Rücklagen für das Alter waren aufgebraucht. Thorsten stand wirtschaftlich am Abgrund und hatte dabei noch nicht einmal die geringste Ahnung, womit er sich solch einen Schicksalsschlag verdient haben sollte.
Für mich als Therapeut gilt der Grundsatz: „Es gibt weder Glück noch Pech, noch Willkür des Schicksals. Es gibt nur Ursache und Wirkung.“ Oder: Wo Rauch quillt, muss es irgendwo auch ein Feuer geben, das ihn erzeugt. Wenn die Ursache zu einer unguten Lebenslage vordergründig nicht gesehen werden kann, kann sie nur im Verborgenen, d. h. im Unbewussten des Betroffenen, zu finden sein. Dann muss sie dort eben solange gesucht werden, bis sie aufgedeckt ist und angegangen werden kann. Genau wie bei einem verborgenen Schwelbrand, dessen Rauch man zwar riecht, aber nicht weiß, so sich der Brandherd befindet. Auch der kann nur gelöscht werden, nachdem er aufgedeckt ist.
Bei Thorsten war dies glücklicherweise bereits nach wenigen Therapiesitzungen gelungen.
Statt bei der Suche nach der unbekannten Ursache zu einer üblen Lebenssituation wild im Unterbewusstsein des Klienten herum zu stochern, in der Hoffnung, per Zufall die Nadel im Heuhaufen zu finden, gehe ich systematisch vor. Etwa wie bei einer Rasterfahndung der Polizei. Nach einem bestimmten Schema sammele ich zunächst alle möglichen Informationen, die sich kriegen lassen. Diese ordne ich und grenze sie solange ein, bis sich die konkrete Spur erkennen lässt, die dahin führt, wo sich die Schlange unterm Stein versteckt hält. Diese zeigte sich bei Thorsten in folgendem Geschehen:
Bei diesem Sammeln erinnerte sich Thorsten, an eine Autofahrt in die nahe Kreisstadt, die ein böses Ende genommen hatte. Dort gab er beim Finanzamt wegen einer Steuernachzahlung einen Scheck in fünfstelliger Höhe ab. Nach weiteren Besorgungen machte er sich wieder auf den Heimweg. Auf diesem Weg ereignete sich folgendes:
Ein tieffliegendes Militärflugzeug durchstieß die Schallmauer. Durch den dabei entstehenden typischen Doppelknall gerieten Pferde in einer nahe gelegenen Koppel in Panik. Brachen aus und stürmten auf die stark befahrene Landstraße, wo sie vor Thorstens Augen einen schweren Verkehrsunfall verursachten. Thorsten selbst war nichts passiert. Aber er erlebte die Schreie Schwerverletzter, darunter ein erst wenige Monate altes Baby. Er musste mit ansehen, wie an Ort und Stelle ein Pferd wegen seiner schweren Verletzungen erschossen werden musste. Bei diesem Anblick durchschoss ihn ein Blitzgedanke: „Diese Schweine (damit meinte er die Luftwaffe) habe ich jetzt auch noch mit meinen Steuern finanziert, die ich eben bezahlt habe. Man sollte alles hinschmeißen und sich vom Sozialamt ernähren lassen, damit dieser Quatsch endlich aufhört.“ Hier war jetzt der Schlüssel zu Thorstens Lebenslage gefunden.
Es gibt ein Bonmot von Alt-Bundespräsident Dr. Richard von Weizäcker: “ Einen Fehler, den man erkannt hat, kann man korrigieren. Aber ein nicht erkannter Fehler kann zu einer tickenden Zeitbombe werden, bei der niemand weiß, wann sie hochgeht.“ Will sagen: Die Schöpferkraft hat ihren Sitz in unserem Unterbewusstsein. Mit unserem bewussten Intellekt können wir zwar Pläne schmieden, Wünsche konstruieren und Vorstellungsbilder schaffen. Aber umgesetzt und verwirklicht werden sie in unserem Unterbewusstsein. Hier hat die Macht unseres Geistes ihren wahren Sitz. Doch es ist ein Irrtum zu glauben, dass diese Macht immer nur gut sei. Vielmehr ist sie wie das Feuer. Das wärmt im kalten Winter unser Haus. Mit Feuer bereiten wir unsere Speisen. Feuer bringt unsere Autos zum fahren und unsere Flieger zum Fliegen. Aber statt Glocken kann man mit dem Feuer auch Kanonen gießen, und Land und Leute vernichten. Ebenso kann auch die Macht unseres Geistes aufbauen und gleichzeitig zerstören. Es liegt nur daran, wie wir sie lenken.
Mit diesem Blitzgedanken „Man sollte alles hinschmeißen und sich nur noch vom Sozialamt ernähren lassen“ hatte Thorsten, natürlich ohne in diesem Schock, in dem er sich befand, zu ahnen was er da tat, die Macht seines Geistes selber so gelenkt, dass sein bis dahin gesunder Geldstrom zu einem Rinnsal verkommen musste. Wie sich jetzt bei der weiteren therapeutischen Arbeit zeigt, dauerte es nach diesem Unfallgeschehen nur kurze Zeit, bis die ersten Kunden ausblieben und die ersten Aufsräge storniert wurden.
Jetzt aber, nachdem Thorsten durch diese Aufdeckungsarbeit seinen bis dahin unbewussten Fehler erkannt hatte, verlor dieser selbstzerstörerische Gedanke, der gleichzeitig zum selbsthypnotischen Befehl geworden war, seine Macht. Das Ergebnis zeigte sich auf dem Fuß. Bereits als Thorsten etwa eineinhalb Stunden nach Verlassen meiner Praxis zuhause ankam, fand der auf dem Anrufbeantworter Nachrichten, die Aufträge nach sich zogen.. Nach weniger als einem Vierteljahr lief sein Betrieb wieder, als sei nichts geschehen, obwohl er vorher jahrelang stagniert hatte.
Selbst bei schwierigsten Lebenslagen, egal wie lange sie angedauert haben mögen, besteht die therapeutische Kunst nur darin, mit geringstmöglichem Aufwand an Zeit und Kosten, aber gleichzeitig auf erfolgssicherstem Weg die ungute Ursache zu ihrem Entstehen aufzudecken und erkennbar zu machen. Dann bekommt die Selbstheilung grünes Licht. Ebenso, wie man einen Schwelbrand erst aufdecken muss bevor man ihn löschen kann.